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Warum das Fahrrad

Viele Leute denken wahrscheinlich warum macht der Typ so eine Tour mit dem Drahtesel, der muss ein Radnarr, Verrückter oder Komischer sein. Ein Liebesgefühle zu meinem Rad habe ich noch nicht verspürt und sehe es nur als unheimlich nützliches Werkzeug. In meinem Leben besaß ich jedoch noch nie ein Rennrad, spezielle Radklamotten oder sonstige Erfindungen die viele glauben zu brauchen, um auf so einem Hirsch durch die Welt zu reiten.

»Das Rad verhilft zu einem Lebensgefühl von
Freiheit und Unabhängigkeit«

Man ist nicht auf Verkehrsmittel oder Benzinpreise angewiesen, hat sein Hotel ständig bei sich, einen Esel der die ganze Last trägt, fährt in einer Geschwindigkeit, ideal um Dinge um sich herum wirklich wahr zu nehmen und aufzusaugen. Das Rad erlaubt einem Wege zu fahren die mit anderen Fahrzeugen nicht möglich wären, man ist leise, hört, riecht, hat einen freien Blick nach oben, ringsum und redet mit Leuten auf der Straße oder auf dem Feld während der Fortbewegung. Das Reisen mit dem Rad macht die Fahrt um ein vielfaches intensiver da mehr Sinne geweckt und stimuliert werden. Zudem kann man neben radeln reden, essen, trinken, sich sonnen, anhalten und man ist sofort an Ort und Stelle ohne erst zu schauen wo ein Parkplatz zu finden ist. Durch die Bewegung schüttet der Körper Endorphine aus die einem zum Glücksgefühl verhelfen. Über viele Stunden auf dem Sattel fällt man in eine Art Meditationsmodus und entschleunigt seine Gedanken total. Es scheint mir als ob man als Radreisender meist einen speziellen Status genießt, jeder möchte einem gerne helfen, die Leute nehmen einen anders wahr, vielleicht denken sie, der Typ macht sich echt mühe mein Land kennen zu lernen und man genießt dadurch ein anderes Willkommen sein und vielleicht auch Schutz.

Vereinsamt man nicht auf so einer Tour alleine?

Sehr oft wurde mir die Frage gestellt ob ich nicht vereinsame. Im Gegenteil, in dicht besiedelten Regionen wurde es mir mit Rummel und Unterhaltungen vielleicht zu viel. Wenn man sich öffnet hat man Gesellschaft von allerhand Leuten, klar sind dies meist nicht die tiefgründigsten Gespräche die man mit ihnen führt, jedoch gibt es Ausnahmen. Man fühlt sich willkommen wenn die Leute mit einem Reden und überall Grüßen. Sicher wäre es manchmal schön sich über den Tag zu unterhalten, die Geschehnisse, das Gesehene, dafür trifft man jedoch gleichgesinnte und kann sich mit diesen austauschen.

Bin ich ein super Mensch der so was machen kann?

Oft sahen mich die Leute in Afrika als super Athlet und über klug an. Sie fragen sich wie einer mit einem Blatt Papier, auf dem ein Paar Linien gezeichnet sind, sich in einem fremden Land, wo er niemanden kennt, fortbewegen kann. Sie selbst kommen in ihrem Leben oft nicht weiter als bis ins Nachbardorf und es scheit ihnen unendlich weit, von Europa zu kommen. Mit athletischer Höchstleistung hat das Radreisen weniger was gemein, Motivation und der Geist spielen dabei eine bedeutendere Rolle als die pure Muskelkraft. Klar gibt es Phasen und Abschnitte die über Tage vielleicht anstrengend und monoton sind, da ist dann ein starker Wille gefragt oder man entdeckt etwas kleines das einem Freude für den Rest des Tages bereitet. Ganz wichtig ist auch sich klar zu machen, "Ich muss das nicht tun, ich will es.", dadurch ist der Druck komplett weg, sicher wenn einem Wasser oder Essen ausgeht kann da schon mal etwas Unruhe aufkommen.

Die Einfachheit des Lebens, der tägliche Nestbau

Wenn man dann abends seinen Schlafplatz gefunden hat, beginnt ein für mich sehr genussvoller Teil des Tages, hinzusetzen, die Landschaft zu bewundern und Eindrücke des Tages zu wieder spiegeln. Die Essenszubereitung, ein wichtiger Teil des Tages um dem Körper wieder Energie hinzuzufügen. Dafür verwende ich einfache Zutaten die ich am Wegesrand gekauft oder auf Vorrat gebunkert habe. Aus dem Zustand der Erschöpfung wächst dann ein angenehmes Gefühl von Ruhe und Dankbarkeit über die Einfachheit des Lebens, man ist glücklich darüber dies erleben zu dürfen. Oft erhascht man ein Plätzchen, wunderschön gelegen, gigantische Aussicht wo kein fünf Sternehotel mithalten könnte. Am nächsten morgen ist man dann schon wieder weiter bevor es Ärger geben könnte oder einem die Zuschauer zu viele werden. Es ist schwer dieses Lebensgefühl zu beschreiben, man kann es mit Worten nicht vermitteln, man muss es für ein paar Wochen ausprobieren, entweder kommt dann ein "Wow, hoppla das ist ja grandios, der Abstand zum Materiellen macht ja richtig Freude" oder "nee, nicht mein Ding, vermisse meinen TV und Kaffee am Morgen".

Gib etwas auf und gewinne wertvolleres hinzu

Viele Leute würden sich nicht zu einen riskanten Sprung aus ihrem gewohnten Leben heraus trauen. Neue Erfahrungen zu sammeln die unplanbar sind und total auf Zufall und Glück basieren ist nicht Jedermanns Sache. Die körperliche Anstrengung scheint auch eine große Hürde zu sein, sowie der Abstrich an Komfort und das Tschüs sagen zu all seinen liebgewonnenen Habseligkeiten. Es mag sein dass die Umstände es auch nicht zulassen, man gebunden ist, gesundheitlich nicht kann, Verantwortung zu übernehmen hat oder einfach nicht die Möglichkeit hat, seine Sachen zu packen und los zu machen. Ich erwarte auch nicht dass jeder mit dem Rad durch die Welt kurven sollte, da gäbe es ja niemanden mehr der arbeiten würde um mir zum Beispiel was zu Essen verkauft. Aber vielleicht brennt ja in jedem so ein Reiz mal was anderes zu machen, etwas völlig ungewisses, Neuland zu betreten, egal was es ist. Ich möchte lediglich dafür sprechen, Leute zu motivieren. Oft traf ich auf ältere Menschen die mir erzählten, "dies oder ähnliches wollte ich auch mal machen, doch jetzt ist es zu spät …". Sie freuen sich zwar für mich, jedoch kann ich sehen wie es sie traurig macht, diese Erfahrungen nicht für sich selbst gemacht zu haben.

Meine Eltern führten uns schon früh an andere Länder und Kulturen heran. Merkte dass mich das Leben der Leute interessierte, man aber mit einer Touristengruppe nicht wirklich eintauchen kann. Ich fühlte mich als störendes Fremdobjekt dem man als oberstes Interesse etwas verkaufen möchte. Mit dem Rad taucht man viel tiefer ein, ist unscheinbarer, muss sich selbst mit den Leuten auseinandersetzten und man hat eben kein Schutzschild in Form eines Reiseleiters mit sich. Es mag vielleicht anstrengender sein jedoch sprechen die Einblicke und Erfahrungen für sich.